Frau Puschke, seit dem 9. September streiken Berliner Klinikbeschäftigte von Charité, Vivantes und den Vivantes-Tochterunternehmen für bessere Arbeitsbedingungen und mehr Personal. Sie sind eine von ihnen. Was hat Sie persönlich dazu bewogen, die Arbeit niederzulegen?
Die aktuellen Arbeitsbedingungen, die meiner Ansicht nach so nicht mehr tragbar sind. Für mich nicht, für meine Kolleginnen und Kollegen nicht, aber auch für die Patientinnen und Patienten, die wir betreuen.
Pflegenotstand
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Sie arbeiten als Gesundheits- und Krankenpflegerin im psychiatrischen Bereich. Was sind die größten Probleme im klinischen Alltag?
Wir sind zu wenig Personal und haben kaum Zeit für Patientinnen und Patienten. Das ist auf vielen Klinikstationen ein großes Problem, aber gerade im psychiatrischen Bereich stellt uns das vor besondere Herausforderungen. Wir kümmern uns um Menschen mit schweren Depressionen und um Menschen in Krisensituationen. Viele können selbst kleinste Alltagsaufgaben nicht mehr selbstständig erledigen oder stellen für sich oder andere eine Gefährdung dar. Wir Pflegende sind da Ansprechpartner, Begleiter und Vertrauenspersonen. Wir brauchen Zeit für die Therapien und müssen auch mal zuhören können, um die Sorgen und Bedürfnisse unserer Patientinnen und Patienten zu erfahren und auf sie eingehen zu können. Leider haben wir diese Zeit kaum.
Wenig Zeit auf der einen Seite und Patientinnen und Patienten mit vielerlei Bedürfnissen auf der anderen – wie managen Sie diesen Spagat im Alltag?
Wir schaffen nur das Nötigste. Aber das Nötigste ist für uns nicht genug. Wir möchten fachgerecht pflegen – so, wie wir es gelernt haben. Natürlich sorgen wir für die Sicherheit der Patientinnen und Patienten auf unserer Station. Aber unsere Sicherheit geht dabei flöten. Wir geben uns gewissermaßen auf, um für andere da zu sein. Und diese Belastung steckt in den Knochen, jeden Tag.
Im Interview
Carolin Puschke (35) arbeitet als Gesundheits- und Krankenpflegerin auf einer psychiatrischen Station in einer Vivantes-Klinik in Berlin. Sie setzt sich als Teamdelegierte für die Interessen ihres Stationsbereichs ein.
Was fordern Sie?
Bessere Arbeitsbedingungen, eine Entlastung in Form von mehr Personal und eine Tarif-Angleichung für Beschäftigte der Vivantes-Tochterunternehmen. Positiv ist, dass wir aktuell in Verhandlungen sind, allerdings verlaufen sie recht schleppend. Aus meiner Sicht gab es bislang wenig Entgegenkommen, aber wir arbeiten jetzt ganz gezielt daran, die bestmögliche Lösung für alle zu erreichen – Pflegende, Therapeuten und Auszubildende. Alle Gewerke sind wichtig und brauchen gute Arbeitsbedingungen, um das zu leisten, was wir letztlich am liebsten machen: gute Pflege.
Die Probleme in der Pflege gibt es nicht erst seit der Corona-Pandemie. Gleichzeitig fällt es vielen Beschäftigten schwer, sich in Gewerkschaften zu organisieren und sich für bessere Arbeitsbedingungen stark zu machen. Was denken Sie: Woran liegt das?
Es gibt viele Fragen, etwa zu der Finanzierung in der Streikzeit oder ob mögliche arbeitsrechtliche Folgen drohen. Aber man muss ganz klar sagen: Streiken ist ein Grundrecht. Wichtig ist mir auch zu betonen, dass wir das für alle machen – auch für die Kolleginnen und Kollegen, die nicht mit uns auf der Straße stehen.
Manch Außenstehender fragt sich: Dürfen Pflegende überhaupt streiken? Was ist mit den Patientinnen und Patienten?
Der Normalzustand gefährdet die Patientensicherheit. Wir haben unsererseits eine Notdienstvereinbarung aufgestellt und Kolleginnen und Kollegen teilweise auch aus dem Streik für den Stationsdienst eingeteilt, um eine Versorgung zu gewährleisten. Wir streiken nur, weil wir müssen. Da uns sonst leider wenig Gehör geschenkt wird. Dazu ist zu sagen, dass wir im Vorfeld 100 Tage Forderungen aufgestellt hatten und Gespräche angeboten haben. Der Streik war also keine Überraschung, sondern am Ende der Ausdruck davon, dass es wichtig ist, endlich die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Wir benötigen kein weiteres Klatschen mehr. Wir benötigen konkrete Abhilfe.
Am 9. Oktober ist eine Demonstration geplant, los geht es um 12 Uhr am Hermannplatz in Berlin. Was erhoffen Sie sich?
Wir freuen uns über Austausch und Unterstützung der Bevölkerung. Es wäre super, wenn so viele wie möglich kommen. Jeder kommt doch im Laufe des Lebens irgendwann an den Punkt, an dem er Hilfe und Pflege benötigt, früher oder später. Jetzt brauchen wir Hilfe.
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