Nach Biontech und Moderna stellt nun ein weiterer Konzern vielversprechende Studienergebnisse vor: Der Impfstoff von Astrazeneca hat eine Wirksamkeit von 70 Prozent, rund 25 Prozent geringer als die der Konkurrenten. Doch der Vergleich zeigt: Ein Impfstoff braucht mehr als eine hohe Wirksamkeit.

In den vergangenen Wochen machten erst Nachrichten aus Deutschland, dann aus den USA große Hoffnung im Kampf gegen das Coronavirus. Die beiden Pharmahersteller Biontech/Pfizer sowie Moderna hatten Ergebnisse ihrer Covid-19-Studien vorgelegt, beide konnten eine Wirksamkeit von rund 95 Prozent nachweisen.

Nun meldete sich auch die britisch-schwedische Firma Astrazeneca: Ihr Impfstoff soll ebenfalls wirksam sein, zu durchschnittlich 70 Prozent. FOCUS Online zeigt, was das Vakzin kann und worin es sich von den Biontech- und Moderna-Mitteln unterscheidet.

Art des Impfstoffs von Astrazeneca

Das Mittel von Astrazeneca, AZD1222, ist ein Vektor-Impfstoff. Er beruht auf der abgeschwächten Version eines Erkältungsvirus von Schimpansen. Das Mittel enthält genetisches Material eines Oberflächenproteins, mit dem der Erreger Sars-CoV-2 an menschliche Zellen andockt. Das Vakzin wirkt laut dem Hersteller zweifach: Es soll sowohl die Bildung von spezifischen Antikörpern als auch von T-Zellen fördern – beide sind für die Immunabwehr wichtig.

Bei Biontech/Pfizer und Moderna handelt es sich stattdessen um einen mRNA-Imfpstoff. Die RNA-Impfstoffe bestehen nicht aus winzigen Viruspartikeln wie andere Impfstoffe, sondern aus sogenannter Messenger-RNA (mRNA). Sie wird im Labor künstlich hergestellt und enthält eine präzise Bauanleitung für erregerspezifische Antigene. Das sind die für den jeweiligen Erreger typischen Eiweißstoffe, die eine Immunreaktion im Körper provozieren und gegen das Virus immun machen.

Für die Impfung wird diese mRNA zunächst in kleinste Transportpartikel verpackt, die dann zum Beispiel in einen Muskel oder unter die Haut gespritzt werden. Dort wird die mRNA von Körperzellen aufgenommen und dient als Kopiervorlage für die erwünschten Antikörper gegen das Virus.

Der Mechanismus dahinter: Wenn die mRNA-modifizierten Zellen vorübergehend die Bruchstücke des zu bekämpfenden Virus präsentieren, lernt die Immunabwehr der Geimpften im Falle einer tatsächlichen Infektion auch vor dem natürlichen Erreger zu schützen. Die Folge: Menschen werden immun.

Diese Art von Vakzinen bieten im Gegensatz zu Vektor-Impfstoffen einen entscheidenden Vorteil. Denn im Vergleich zu konventionellen Impfstoffen sind sie sehr viel schneller und lassen sich in erheblich größeren Mengen herstellen.

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Wirksamkeit des Impfstoffs

Um die Wirksamkeit des Astrazeneca-Mittels AZD1222 zu bestimmen, zog der Hersteller die Daten zweier Studien heran. Zum einen aus einer einer kombinierten Phase-II/III-Studie, bei der die Versuchspersonen der Impfgruppe zuerst eine halbe Dosis des Impfstoffs und einen Monat später eine weitere volle Dosis erhielten. Die Effektivität lag den Angaben zufolge hier bei 90 Prozent.

Zum anderen wurden Ergebnisse einer Phase-III-Studie berücksichtigt, bei der Probanden der Impfstoff Gruppe zwei volle Dosen bekamen. Die bisher errechnete Effektivität lag dabei bei 62 Prozent. Zusammengenommen ergibt sich den Angaben zufolge eine Wirksamkeit von 70 Prozent. Die Zwischenauswertung basiert auf insgesamt 131 Infektionsfällen mit nachweislichem Covid-19.

Moderna gibt für seine Impfstoff-Studie in Phase 3 eine Wirksamkeit von 94,5 Prozent an. Das konnte der Hersteller in einer ersten Zwischenanalyse mit 95 Teilnehmern mit nachgewiesenen Covid-19-Fällen ausmachen. Die Phase-3-Studie zum RNA-Impfstoff mRNA-1273 von Moderna umfasst insgesamt 30.000 Probanden. Daten, zu welchem Grad mRNA-1273 eine Ansteckung verhindert, gibt es bislang nicht. Für den vollen Impfschutz sind zwei Dosen in einem zeitlichen Abstand von vier Wochen notwendig.

Biontech hat seinen Impfstoff bereits an über 40.000 Probanden getestet. Für den Impfstoff gab der Konzern zunächst eine Wirksamkeit von mindestens 90 Prozent an, die Studie umfasste 94 erkrankte Teilnehmer. Der Impfstoff von Biontech/Pfizer wird zweimal in einem Abstand von drei Wochen verabreicht.

„Wenn man die veröffentlichten Ergebnisse mit den bekannten Daten zu den RNA-Impfstoffen der Firmen Biontech/Pfizer und Moderna vergleicht, so fallen mehrere Dinge auf“, ordnet Infektiologe Gerd Fätkenheuer von der Uniklinik Köln die Studienergebnisse ein. „In die RNA-Impfstoff-Studien sind jeweils deutlich mehr Teilnehmer eingeschlossen worden. Dennoch ist die Zahl der beobachteten Infektionen in diesen Studien mit 94 beziehungsweise 95 Fällen niedriger als bei AstraZeneca.“

Allein diese Zahlen würde dafür sprechen, dass der AstraZeneca-Impfstoff etwas weniger effektiv sein könnte als die beiden RNA-Impfstoffe. Demnach seien dringend detailliertere Daten nötig, um deren tatsächliche Wirksamkeit beurteilen zu können.

BurdaForward  

Nebenwirkungen und Sicherheit

Die klinischen Studien des Astrazeneca-Mittels mussten zwischenzeitlich unterbrochen werden, weil ein Patient erkrankte. Nach sieben Wochen nahm der Hersteller die Studie wieder auf. Wie sicher das Vakzin ist, wird sich endgültig erst nach weiteren, groß angelegten Überprüfungen zeigen.

Gleiches gilt für die Impfstoffe von Moderna und Biontech/Pfizer. Die Europäische Arzneimittelagentur Ema begann etwa in der vergangenen Woche, ein sogenanntes Rolling-Review-Verfahren zum Moderna-Impfstoff, um Sicherheit und Qualität zu überprüfen.

Da es sich wie bei Biontech/Pfizer um einen mRNA-Impfstoff handelt, bewerten Mediziner das Risiko für Nebenwirkungen jedoch bei den beiden Mitteln im Allgemeinen geringer an als bei klassischen Impfstoffen. Da bei der Herstellung keine giftigen Substanzen oder Zellkulturen verwendet werden, ist eine Verunreinigung des fertigen Impfstoffs eher unwahrscheinlich.

Spezifisch zum Astrazeneca-Vakzin lassen sich laut Experten jedoch bislang keine Aussagen treffen. „Ein Vergleich der Nebenwirkungsraten mit den RNA-Impfstoffen ist bei den vorliegenden Informationen kaum möglich“, sagt Infektiologe Bernd Salzberger vom Universitätsklinikum Regensburg.

„Es gibt derzeit keine vergleichende Studie der verschiedenen Impfstoffe, aber bislang zeigt sich bei den Vektorimpfstoffen und den mRNA-Impfstoffen ein ähnliches Nebenwirkungsprofil mit relativ häufigen, aber leichten Nebenwirkungen mit grippeähnlichen Symptomen und lokalen Beschwerden, die aber nur kurz anhalten“, führt auch Charité-Infektiologe Leif-Erik Sander aus. „In der aktuellen Studie von AstraZeneca/Oxford gab es auch einen neurologischen Zwischenfall, der zur zwischenzeitlichen Unterbrechung der Studie führte. Daher müssen mögliche Nebenwirkungen selbstverständlich weiterhin engmaschig beobachtet werden.“

Haltbarkeit der Impfstoffe

In Sachen Haltbarkeit hat der Vektorimpfstoff von Astrazeneca seinen Konkurrenten etwas voraus: Er lässt sich über lange Zeiträume von bis zu sechs Monaten bei Kühlschranktemperatur von zwei bis acht Grad lagern.

Laut Moderna hält sich ihr Kandidat bei Standard-Kühlschranktemperaturen von zwei bis acht Grad lediglich 30 Tage lang stabil. Für einen längeren Zeitraum benötige das Mittel Standard-Gefriertemperaturen von minus 20 Grad und halte sich dort dann für sechs Monate. Sobald es aus dem Kühlschrank genommen werde, halte es sich noch bis zu 12 Stunden.

Das Biontech-Mittel muss nach Angaben der Hersteller hingegen bis einige Tage vor der Verwendung bei kalten Temperaturen von minus 70 Grad gelagert werden, was für logistische Hürden sorgt. Im Kühlschrank hingegen soll der Impfstoff nur fünf Tage stabil bleiben. Damit sticht der Moderna-Impfstoff Biontech auch in Sachen Logistik aus – denn je unkomplizierter und länger sich ein Mittel lagern lässt, umso vielversprechender ist es für einen flächendeckenden Einsatz.

„Auch wenn die Effektivität insgesamt ein wenig geringer erscheint als mit mRNA-Impfstoffen, hat AZD1222 einen großen Vorteil: Er ist robust und einfach in der Handhabung, quasi die ‚Arbeitsbiene‘ unter den potenziell verfügbaren Impfstoffen gegen Covid-19. Es braucht keine aufwendigen Kühlketten, gar bis minus 70 Grad Celsius, wie dies für mRNA-Impfstoffe zum Teil obligat ist.“

Ein einfacher Kühlschrank sei ausreichend für die Lagerung des Impfstoffs. „Dies dürfte Impfkampagnen in Ländern mit weniger Ressourcen für aufwendige Kühlketten erleichtern“, erklärt Wendtner weiter. „Nicht zuletzt wurde auch ein Großteil der Probanden in Südamerika in der Studie mit AZD1222 geimpft.“

Verfügbarkeit

Die Firma AstraZeneca erklärte, sie wolle nun Zulassungsanträge in aller Welt stellen und zudem bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO) den Antrag auf ein Emergency Use Listing stellen, um auch Entwicklungsländer in einem beschleunigten Verfahren rasch mit dem Impfstoff beliefern zu können. Die EU hatte vorab 300 Millionen Dosen des Impfstoffs bei dem Hersteller bestellt.

Moderna will bis Ende des Jahres bereit sein, im Falle einer Zulassung rund 20 Millionen Impf-Dosen in die USA zu liefern. Im kommenden Jahr sollen bis zu eine Milliarde Dosen hergestellt werden. 

Die Biontech-Hersteller erklärten hingegen, noch in diesen Jahr bis zu 50 Millionen, im kommenden Jahr 2021 rund 1,3 Milliarden zur Verfügung zu stellen.

„Jetzt sind die nationalen Gesundheitssysteme aufgefordert, schnell verbindliche Priorisierungen für eine Impfung vorzunehmen“, sagt Wendtner. Gerade Personen, die besonders schwach und anfällig für eine Covid-19-Infektion seien, wären vorzugsweise zu impfen – neben Ärzten und Pflegenden, die täglich ihr Leben an vorderster Front für die Patienten riskierten.

Damit könnte das Gesundheitssystem schnell entlastet werden – „wenn Intensivstationen nicht mehr mit schwer erkrankten Covid-19-Patienten überfüllt wären und daher die Versorgung auch anderer Patienten mit Nicht-Covid-19-Erkrankungen ohne Einschränkungen gewährleistet werden kann.“

Bereits jetzt stünden viele Covid-19-Zentren in Deutschland und weltweit in den Startlöchern und bereiten sich ebenso wie der öffentliche Gesundheitsdienst auf die baldige Impfung von vielen Menschen spätestens zu Jahresbeginn 2021 vor. „Insofern sind die wohl bald verfügbaren Impfstoffe gegen Covid-19 dieses Jahr ein besonderes Weihnachtsgeschenk, auf das viele Menschen lange gehofft haben und das absehbar auf dem Gabentisch liegen wird.“

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